Zukunftsorientiertes Mehrgenerationen-Wohnen im Vierseithof

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Mit seiner Fertigstellung 2026 schafft der Vierseithof bezahlbaren und zukunftsorientierten Wohnraum für die Bürgerinnern und Bürger von Traunstein. Im Neubaugebiet entstehen 50 neue, teilweise nach Einkommen geförderte Mietwohnungen. Zwei mit der Genehmigungs- und Ausführungsplanung beauftragte Ingenieurbüros geben Einblicke in ihre Arbeitsabläufe und die Software-Tools, die beim Planen der Baugrube und der vier Mehrfamilienhäuser in Massivbauweise zum Einsatz kamen.

Wie gelingt es einer Großen Kreisstadt, ein Zeichen für zukunftsorientiertes Mehrgenerationen-Wohnen zu setzen? Ein Hebel ist attraktiver, bezahlbarer und barrierefreier Wohnraum. Im Neubaugebiet Seiboldsdorf im Süden Traunsteins entsteht deshalb ein Wohnquartier mit 50 Ein- bis Fünf-Zimmer-Mietwohnungen, von denen 33 für Bürgerinnen und Bürger aus Traunstein mit kleineren und mittleren Einkommen vorgesehen sind. Möglich macht das die einkommensorientierte Förderung (EOF) des Freistaats Bayern, der mittels der BayernLabo zinsgünstige Darlehen für den Neubau von Mehrfamilienhäusern gewährt. Darüber hinaus ist der Vierseithof, der sich aus vier Mehrfamilienhäuser mit Tiefgarage ergibt, nach ökologisch-sozialen Gesichtspunkten im KfW40-Standard geplant. Wärmepumpentechnologie und Photovoltaikanlage sind ebenso vorgesehen wie ein Gemeinschaftsgarten und ein Nachbarschaftscafé zur Förderung des sozialen Miteinanders. Damit wird die Wohnbaugesellschaft Traunstein als Bauherr ihrer Mission gerecht, eine sichere, ökologische, nachhaltige und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung von breiten Schichten der Traunsteiner Bevölkerung sicherzustellen.

Konstruktive Details der Baugrube

Die für die Wohnanlage ausgehobene Baugrube konnte entlang der gesamten Nord- und Ostseite ohne Zwischenbermen frei geböscht werden. Eine vor Baubeginn fertiggestellte Starkregenmulde sowie die bereits erstellte Zufahrtsstraße machten hingegen einen Verbau entlang der Baugrubenwestseite und -südseite erforderlich. Den Baugrubenabschluss führte die GSGE GmbH, das verantwortliche Ingenieurbüro für Spezialtiefbau aus der Region, als 10:1 geneigte Spritzbetonvernagelung aus. Die Nagelwände wurden als temporäre Sicherungsmaßnahme ausgebildet. Um einen Massenauszug berücksichtigen zu können, zeichnete der Bauzeichner des Büros den Verbauplan der Baugrube mit ALLPLAN in 3D.

Grundbaustatik mit DC-Software

Aufgrund der Baugrubentiefe wies Frédéric Gelloz, Inhaber von GSGE GmbH, die Standsicherheit der Baugrubenböschung mit dem Berechnungsprogramm DC-Böschung der DC-Software nach DIN 4124 nach. Bei der Bemessung des sechs Meter hohen Verbaus mit DC-Nagel wurde von einem Teilbodenersatzkörper von 0,60m Schichtstärke ab Unterkante Bodenplatte ausgegangen. Die Berechnung erfolgte auf Grundlage des Teilsicherheitskonzeptes nach Eurocode 7. Dabei wurden die Grenzzustände nach EB 78 EAB und EC7 angesetzt. Nachgewiesen wurden die Grenzzustände der Tragfähigkeit und der Grenzzustand der Gesamtsicherheit/Geländebruch. „Ich arbeite gerne mit der DC-Software, weil ich sehr schnell und zuverlässig zu nachvollziehbaren Ergebnissen komme. Als Ingenieur ist mir wichtig zu verstehen, was die Software im Hintergrund rechnet. Bei DC sind Plausibilitätskontrollen möglich,“ lobt Gelloz, der seit 2009 mit DC arbeitet, und betont: „Mit DC-Software habe ich für all meine Anforderungen im Spezialtiefbau eine Lösung zur Hand. Für mich gibt es nichts Besseres.“

Konstruktive Details der Mehrfamilienhäuser

Die Kellergeschosse gründen auf einer 35 cm starken Bodenplatte. Die Tiefgarage wurde vom Traunsteiner Ingenieurbüro concon, zuständig für Tragwerksplanung, Bauphysik und Ausführungsplanung, als im Gefälle gepflasterte Tiefgarage mit Einzel- und Streifenfundamenten ausgeführt. Dabei kragt das Erdgeschoss über die Tiefgarage hinaus, was die Ermittlung eines sauberen statischen Lastabtrags erschwerte. Die vier Mehrfamilienhäuser sind in Massivbauweise geplant. Jedes Gebäude wird von Stahlbetondecken und Mauerwerkswänden getragen und statisch abgesichert. Bei der Wahl der eingesetzten Mauerwerks- und Betonarten setzten die Planer auf Vielfalt, um den Anforderungen an Energieeffizienz zu begegnen. Neben Normalbeton wird stellenweise auch wasserundurchlässiger Beton verbaut. Als Dachkonstruktion wurden zu 28° geneigte Satteldachstühle mit Ziegeleindeckung geplant. Die Dachgeschosse werden in Holzständerbauweise ausgeführt. Die Wohnungen lassen sich über Laubengänge erschließen, die vollständig aus Fertigteilen ohne Belag errichtet werden. Die nicht tragende Holzverschalung der Fassaden lässt die vier Mehrfamilienhäuser in regionaltypscher Architektur mit ansprechender Holzoptik erscheinen.

Erstellung eines Fachmodells Tragwerksplanung

Auf Grundlage des vom Architekturbüro Guggenbichler + Wagenstaller mit Archicad angefertigten Entwurfs erstellten die Bauzeichner von concon ein eigenes Fachmodell Tragwerksplanung in der CAD-Software ALLPLAN. „Wir machen uns die Mühe, ein Modell frühzeitig zum Ende der Leistungsphase 3 nach HOAI zu erzeugen, um es auf unsere Arbeitsbelange hin fortlaufend mit dem Planungsprozess der Leistungsphasen 4 und 5 zu modifizieren. Zum einen dient das Modell unseren Bauzeichnern und Bauphysikern als Basis für die Schal- und Bewehrungsplanung, die Ausarbeitung der Schall- und Brandschutzpläne sowie eine an den Vorgaben orientierte energetische Begleitung des Projekts mitsamt den dazugehörigen Wärmeschutznachweisen. Zum anderen fußt die Erstellung einer prüffähigen statischen Berechnung durch unsere Tragwerksplaner auf dem Modell,“ macht Florian Lindner, geschäftsführender Partner bei concon, deutlich. Beim Erzeugen des Modells achte man daher sorgfältig darauf, die tragenden und nichttragenden Bauteile korrekt zu klassifizieren und den Bauteilen das passende Material sowie die richtige Materialgüte zuzuteilen.

Effiziente Idealisierung des Tragwerkmodells

Nachdem Bauzeichner und Ingenieure den Entwurf der Architekten unter Berücksichtigung der Anforderungen an die Tragwerksplanung nachmodelliert hatten, wurde das Modell in Form einer IFC-Datei an die Statiksoftware FRILO übergeben. Dabei fungierte der BIM-Connector® von FRILO nicht nur als Bindeglied zwischen CAD- und Statiksoftware, sondern übernahm auch die Idealisierung des Tragwerks. Durch das Umschalten vom physischen Modell aufs Berechnungsmodell reduzierte Dominik Dell, Tragwerksplaner bei concon, das Modell auf seine tragenden Bauteile. „Weil die Materialien und Bauteilklassen zuvor in ALLPLAN korrekt hinterlegt wurden, konnte ich Dämmungen, Trockenbauwände und sonstige Elemente, die für meine Statik belanglos sind, zuverlässig und schnell entfernen“, sagt er und ergänzt: „Der BIM-Connector ist äußerst hilfreich, wenn es darum geht, ein Modell auf seine Tragwerksstrukturen zu reduzieren, um ein Berechnungsmodell automatisiert abzuleiten.“ Um außerdem die Ermittlung eines sauberen, vertikalen Lastabtrags zu gewährleisten, richtete der Tragwerksplaner die Achsen der übereinander liegenden Bauteile in einer Flucht aus und zerlegte die Wände in Wandstreifen.

Schnelle Ermittlung der Vertikallast

Das so im BIM-Connector idealisierte Tragwerksanalysemodell wurde anschließend innerhalb der FRILO-Umgebung an das Gebäudemodell GEO übertragen, wo Lindner und Dell die vertikalen Lasten auf Grundlage der Steifigkeiten der Geschossebenen geschossweise von oben nach unten ermittelten. Dabei erfolgt in jeder Geschossebene im Hintergrund eine FE-Berechnung. Die Auflagerkräfte am Fußpunkt der lastabtragenden Bauteile werden gleichmäßig über die Bauteillänge verteilt und so lange an ein darunterliegendes Geschoss weitergeleitetet bis kein Geschoss mehr gefunden und ein Fundament automatisch erzeugt wird. Die dabei im GEO vordefinierten Geometrien und die ermittelten Lasten wurden anschließend an die FRILO-Programme zur Bauteilbemessung weitergegeben.

Bauteilbemessung mit FRILO

Die Einzel- und Streifenfundamente, auf die die Tiefgarage gründet, wurden mit den FRILO-Programmen FD+ und FDS+ bemessen. Dabei wurde der Sohlwiederstand MR,d,max auf 550 kN/m² bzw. 500 kN/m² begrenzt. Die Bodenplatte (Betongüte C25/30) und sämtliche Geschossdecken aus Stahlbeton wurden nach der Methode der finiten Elemente mit dem Plattenprogramm PLT berechnet. Das B6+ half beim Erbringen der Durchstanznachweise. Für die statische Berechnung der Unterzüge und der Wandträger griffen Lindner und Dell auf den Durchlaufträger DLT zurück. Bei der Nachweisführung für die Außenwände und die Pfeiler aus Mauerwerk kamen MWX+ und MWP+ zum Einsatz. Mit dem EDB+ wurden die auf die erdberührten Außenwände zusätzlich wirkenden Erddrücke ermittelt. Für sämtliche Stahlbetonstützen und die Innenwände aus Stahlbeton – die Bemessung erfolgte an einem 1-Meter-Streifen – wurden Nachweise der Grenztragfähigkeit mit dem B5 geführt. Die Sparren (Nadelholz C24) der Dachkonstruktion wurden mit dem DSP+ nachgewiesen. Für die Fußpfetten (Nadelholz C24) und die Mittelpfetten (Brettschichtholz GL24c) liefen die statischen Berechnungen nach DIN EN 1995-1-1/NA:2013-08 im Mehrfeldträger Holz HTM+ ab. „Letztlich haben wir den Standardbaukasten von FRILO verwendet, den es für die Berechnung der Statik eines solchen Projekts braucht“, fasst Lindner zusammen.

Ausführungsplanung mit ALLPLAN

Die Bauingenieure von concon arbeiteten die statischen Berechnungsergebnisse kontinuierlich in das Fachmodell Tragwerksplanung ein, um daraufhin mit ALLPLAN die Positionspläne anzufertigen. Die Resultate aus der Tragwerksplanung wurde vom Architekturbüro übernommen. Sobald die Positionspläne erstellt waren, nahmen die Bauzeichner von concon die Arbeit in ALLPLAN auf, um die Schal- und Bewehrungspläne für die erforderlichen Bauteile zu zeichnen. Die Bewehrung wurde dabei direkt im ALLPLAN-Modell verlegt, was eine sofortige Kollisionsprüfung ermöglichte. „Unser Ingenieurbüro legt seit jeher großen Wert auf die Erstellung von 3D-Gebäudemodellen in ALLPLAN, weil wir so die Ansichten für die Schal- und Bewehrungsplanung aus einem einzigen, sich stetig fortentwickelnden Modell ableiten können. Änderungen am Modell werden unmittelbar in den Ansichten übernommen“, erklärt Karin Krüger, Bauzeichnerin Hoch- und Ingenieurbau bei concon. ALLPLAN komme bei concon täglich zum Einsatz, „weil uns ein in ALLPLAN erstelltes und stetig angepasstes 3D-Modell hilft, Fehler zu minimieren und durchgängige Qualitätsstandards über die bürointernen Fachbereiche Tragwerksplanung, Brandschutz und Schallschutz hinweg sicherzustellen,“ resümiert Krüger.