KI in der Praxis bei Zaha Hadid Architects

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Wie arbeiten eigentlich Hotspots architektonischer Innovation wie Zaha Hadid Architects mit KI? Ulrich Blum gewährt faszinierende Einblicke in kreative Arbeitsprozesse, in denen Technologie neue Gestaltungsspielräume eröffnet.

Wenn es um das Entwerfen innovativer Architektur unter Nutzung technologischer Neuerungen geht, gehören Zaha Hadid Architects (ZHA) seit Jahrzehnten zur absoluten Weltspitze ihrer Zunft. Da dürfte es niemanden überraschen, dass das Büro, in dem bis heute der Pioniergeist seiner ikonischen Gründerin wirkt, auch beim Thema Künstliche Intelligenz bereits den einen oder anderen Schritt weiter ist als viele ihrer Kolleg:innen. Ein Impulsvortrag von Professor Ulrich Blum von ZHA zeigte kürzlich im Rahmen des Onlineformats der db Deutsche Bauzeitung, db 360°, wie weit die geistigen Kinder der Königin der Freiformen schon wieder in der Zukunftstechnologie fortgeschritten sind. Wir haben die wichtigsten Insights noch einmal zusammengefasst.

Ulrich Blum ist Senior Associate und Head of Analytics Insights bei Zaha Hadid Architects London sowie Professor für Entwerfen und Konstruieren an der Münster School of Architecture. In beiden Tätigkeiten beschäftigt er sich intensiv mit Künstlicher Intelligenz. Bei ZHA, so der Architekt, seien Algorithmen und KI in jedem Maßstab präsent – vom Möbelstück bis zur Stadtplanung. Dabei nutzt das Büro zwei Potenziale der Technologie: KI als Innovationskatalysator und als Problemlöser.

KI als Innovationskatalysator in verschiedenen Entwurfsphasen

„LLMs (Large Language Models) wirken wie eine kollektive Intelligenz, die aus dem Wissen und den Ideen von Milliarden von Menschen gespeist wird“, sagt Ulrich Blum. Sie selbst seien, so gesehen, nicht kreativ, machten aber Kreativität zugänglich. Dieser Schaffenskraft bedienen sich ZHA bereits seit einigen Jahren. Bei einer Ausstellung des Künstlers Refik Anadol im Dongdaemun Design Plaza (DDP) in Seoul wurden beispielsweise Zigtausende von Bildern, Skizzen und Renderings des Büros als Trainingsdaten für eine KI verwendet, die daraus eine Art visuelles Gedächtnis von Zaha Hadid Architects entwickelte.

„Früher sammelten wir Moodboards und Referenzen“, erklärt Ulrich Blum, „heute fangen viele Entwürfe mit einem Prompt an.“ Dabei sei wichtig: KI zeige Möglichkeiten, aber sie entscheide nicht. „Wir kontrollieren die Form, aber die Vielfalt ist viel, viel größer als je zuvor.“ Dabei geht es nicht nur um initiale Ideen. Auch in späteren Stadien des Entwurfs wird KI genutzt, etwa auf der Suche nach alternativen Dachformen. Künstliche Intelligenz liefert hier innerhalb von Sekunden unterschiedliche Varianten.

Darüber hinaus lässt sich auf völlig neue Art mit Skizzen arbeiten. So versteht etwa eine auf Städtebau trainierte KI von ZHA farbcodierte simple 3D-Modelle. Sie weiß, mit der Farbe Blau ist Wasser gemeint, Grün bedeutet Wald, Braun Gebäude. Mit diesem Wissen reagiert sie auf grobe Inputs (einfache farbige Flächen) und bringt diese in Form, macht Ideen schneller sichtbar, greifbar und diskutierbar. Dabei werden nicht nur Gebäude generiert, sondern auch situationsbezogene, stimmungsvolle Stadtlandschaften, für die das Büro früher womöglich eine Woche gebraucht hätte.

KI als Problemlöser: evidenzbasierte Entscheidungsfindung

Diese kreative Unterstützung ist jedoch nur eine Seite der Arbeit mit KI bei ZHA. Architekt:innen entscheiden vieles immer noch eher aus dem Bauch heraus als auf Grundlage harter Fakten. Nicht unbedingt, weil sie das so wollen, sondern weil bislang schlicht die technischen Möglichkeiten und Ressourcen fehlten, um vielschichtige Probleme evidenzbasiert anzugehen. ZHA nutzen an solchen Stellen mittlerweile KI-Assistenten, um die Grenzen der menschlichen Intuition zu überwinden und Co-Kreationen aus der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine zu erschaffen.

Ulrich Blum führt hierfür mehrere Beispiele an. So lassen sich etwa Sichtbeziehungen und Bewegungsströme in verschiedenen Grundrissen simulieren und vergleichen. Dabei treten eventuelle Zielkonflikte zwischen hochkommunikativen Bereichen und Privatsphäre, Rückzug und Überblick, Effizienz und Erlebnis deutlich zutage und können optimal ausbalanciert werden. Bei einem kürzlich in Hongkong fertiggestellten Hochhaus wurde so beispielweise festgestellt, dass eine Seitenposition für den Erschließungskern die besten Ergebnisse zeigte. Das Schöne (und durchaus Beruhigende) dabei ist: Am Ende entscheidet immer noch der Mensch, doch hilft KI eindeutig dabei, bessere Entscheidungen zu treffen, indem sie die Stärken und Schwächen von Ideen und deren Varianten sichtbar macht.

Zaha Hadid Architects haben auch zu Studienzwecken ein Tool entwickelt, das alle möglichen Positionen von Erschließungskernen hinsichtlich natürlicher Belichtung und Sichtachsen auf einem quadratischen Grundriss simuliert. Ein Computer rechnete in rund 27 Stunden die etwa 100.000 Varianten durch. Ein Mensch, der vielleicht 40 Möglichkeiten an einem Tag gezeichnet und analysiert hätte, hätte im Vergleich circa zehn Jahre dafür gebraucht.

KI-gestützte Formfindung findet starke Bauformen

Auch bei der datenbasierten Formfindung greifen ZHA auf KI zurück. So wurden etwa für den Masterplan für Unicorn Island in Chengdu ellipsoide Typologien in einem iterativen Prozess entwickelt. Eine KI simulierte hierfür Tausende möglicher Verteilungen von Ellipsen auf den einzelnen Grundstücken und bewertete diese nach Licht, Sicht und Grundfläche. Überraschenderweise erwiesen sich die Ergebnisse mit den besten Werten keineswegs als gestalterische Kompromisse, sondern überzeugten architektonisch mit neuen starken Bauformen wie einer symmetrischen, vogelähnlichen Figur oder einer Ellipsenkette.

Platzieren von Atrien und Gebäudekernen sowie Raumgestaltung mit KI

Ein weiteres Beispiel für die Stärken von KI in der Entscheidungsfindung ist der in Guangzhou befindliche INFINITUS Plaza. Hier wurde mithilfe eines KI-Tools nach der optimalen Platzierung von Arbeitsbereichen gesucht. Das Programm machte dabei sichtbar, welche Bereiche sich etwa besonders für Kommunikation und Austausch oder eher für Konzentration und Rückzug eigneten. Jede Raumform wird zudem aus Daten abgeleitet, so dass Licht, Sicht, Akustik und Nutzung den Grundriss formen. Zugleich hilft Künstliche Intelligenz unter anderem mit Heatmaps dabei, verschiedene Varianten von Raumprogrammen mit ihren Vor- und Nachteilen durchzuspielen.

Blick in die Zukunft: KI mit Sinn für Tragstrukturen

ZHA geben sich mit ihrer bisherigen Wertschöpfung aus den Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz keineswegs zufrieden. So trainieren Kolleg:innen in Workshops mit Studierenden aktuell beispielsweise KI dafür, ein Gefühl für Tragwerke zu entwickeln. Diese KI-Modelle erkennen Lastpfade, schlagen tragfähige Formen vor, reagieren auf Klima, Material und Herstellbarkeit. Sie sollen so unter anderem dabei helfen, möglichst materialsparende und somit nachhaltige Tragstrukturen zu entwickeln.

Seinen eigenen Studierenden rät Ulrich Blum übrigens, KI einfach positiv und angstfrei anzugehen. „Wenn man eine Angstschwelle aufbaut, kommt man gar nicht voran“, so der Experte für digitales Entwerfen. Offenheit, Experimentierfreude und ein positiver Blick seien daher besonders wichtig im Umgang mit der Zukunftstechnologie.