Linienkreuz U2xU5: Das neue Wiener U-Bahn-Zeitalter bricht an
Zwischen 1877 und 1886 erbaut, diente der Helgolandkai lange im Wilhelmshavener Schiffsverkehr als „Erste Einfahrt“. Seither hat das künstliche Ufer mit einer nutzbaren Kajenlänge von etwa 100 Metern noch so manche Bau- und Instandhaltungsmaßnahme gesehen. Dennoch ergab eine Hauptprüfung zuletzt, dass er nur noch eingeschränkt genutzt werden kann. Das soll sich nun ändern. Seit Anfang 2019 läuft eine umfassende Instandsetzung des über 130-jährigen Bauwerks. Anders als bei den bisherigen Sanierungsarbeiten, handelt es sich diesmal jedoch um einen Meilenstein in der Geschichte des deutschen Hafenbaus: Eigentümer und Betreiber Niedersachsen Ports (NPorts) hat die Baumaßnahme zu seinem ersten Pilotprojekt fürBuilding Information Modeling (BIM) auserkoren.
Mit der Objektplanung und der Tragwerksplanung wurde WK Consult (WKC) beauftragt. Die Ausführungsplanung und technische Bearbeitung übernahmen Ingenieure aus der BIM-Abteilung von LUDWIG FREYTAG in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbau-Team der Eriksen und Partner GmbH aus Oldenburg. Unterstützt wurden die Planer während Ausschreibung und Bauausführung durch das BIM-Management von albert.ing.
Ein Schritt zurück, zwei Schritte vor: nachträgliche BIM-Prozesse
Die Instandsetzung des Kais umfasst ein technisch forderndes Maßnahmenbündel: Vor die bestehende Spundwand wird eine neue Wellenspundwand gesetzt, verankert und anschließend hinterfüllt. Der Kajenkopf muss aufgebaut und eine Treppenanlage der Spundwand vorgestellt werden. Darüber hinaus gilt es Steigleitern, Haltekreuze, Kopfpoller sowie Anlege- und Festmacherdalben zu installieren.
Da zum Zeitpunkt der Entscheidung, das Projekt mit BIM durchzuführen, die konventionelle Planung (LP 3 und 6) nahezu abgeschlossen war, wurden die BIM-Prozesse nachträglich simuliert. Insgesamt ergab sich dabei eine Reihe neuer Aufgaben für die Objektplanung. Zusammen mit NPorts entwickelte WKC die Auftraggeber-Informationsanforderungen (AIA), auf deren Grundlage wiederum durch den BIM-Gesamtkoordinator des Auftragnehmers ein BIM-Abwicklungsplan (BAP) erstellt wurde. Die Bestandssituation und Entwurfsplanung wurden als attribuiertes 3D-Modell in Allplan Engineering erstellt, aus dem sich wiederum sämtliche 2D-Entwurfspläne ableiten ließen.
Das objektorientierte 3D-Modell diente darüber hinaus pilotweise der modellbasierten Kommunikation mit NPorts über eine gemeinsame openBIM-Plattform (Common Data Environment). Leistungspositionen und Mengenberechnungen wurden im Modell attribuiert und zusätzlich mit einer AVA-Software verknüpft. Ferner lieferte WKC die AIA für die Bauausschreibung und die Integration in die konventionelle Leistungsbeschreibung. Die BIM-ModellautorInnen von LUDWIG FREYTAG erstellten, ebenfalls mithilfe von Allplan Engineering, auf Grundlage des Entwurfsmodells ein Ausführungsmodell mit deutlich höherem Detaillierungsgrad (LOD 400 statt 200), das bis zum Übergabemodell (LOD 600) weitergepflegt und vertieft wird.
Ein Kai, 14 Fachmodelle
Die Software von Allplan erwies sich für die Planer als leistungsstarkes und zuverlässiges Werkzeug. Insbesondere die Basisbauteile ließen sich schnell und problemlos modellieren. Insgesamt wurden durch WKC per IFC-Export aus Allplan 14 Fachmodelle erstellt. Der Grund für die rigorose Splittung bestand darin, dass sich so sowohl die visuelle als auch die regelbasierte Modellprüfung einfacher gestaltete und bei Änderungen im Modell nur das jeweilige Fachmodell neu exportiert und ausgetauscht werden musste.
Dies galt auch für verschiedene Prüfsoftwares wie den Solibri Model Checker oder die im Projekt implementierte openBIM-Plattform, auf der die einzelnen Fachmodelle vom Auftragnehmer zu Koordinationsmodellen zusammengefügt und an das BIM-Management auf Auftraggeberseite übergeben wurden. Bei der Mengenberechnung zeigte sich leider der Export in das AVA-Programm problematisch, weshalb man sich dazu entschloss, die Berechnungen ausschließlich direkt in Allplan durchzuführen, was – ebenso wie die Ableitung von 2D-Plänen – einwandfrei funktionierte.
Pragmatische Ausführungsplanung
Im Zuge der Ausführungsplanung kehrte LUDWIG FREYTAG die Trennung der Teilmodelle – zumindest teilweise – noch einmal um und strukturierte diese neu: Um die Abbruchbauteile den Bestandsbauteilen besser zuordnen zu können, wurden die Bestands- und Abbruchmodelle zusammengefasst. Darüber hinaus machten sich die Ingenieure eine Funktion in Allplan zunutze, die im Wasserbau normalerweise keine Rolle spielt: Sie verwendeten die flexible Geschosszuordnung des Programms zur Gliederung des Gesamtmodells in Teilmodelle.
Demnach wurde in der Allplan-Bauwerksstruktur der Strukturstufe „Gebäude“ das Gesamtmodell und der Strukturstufe „Geschoss“ die Teilmodelle zugeordnet. Dies ermöglichte ein gut strukturiertes Arbeiten und einen performanten IFC-Export, da über das Geschoss sämtliche Teilbilder eines Teilmodells letzterem automatisch zugewiesen werden.
Erfolgreiches Experiment
Insgesamt kann das BIM-Pilotprojekt Helgolandkai schon jetzt als Erfolg betrachtet werden. Christian Tiedemann, BIM-Modellautor WK Consult: „Dank Allplan konnten mehrere Problemstellen im Modell erkannt und gelöst werden, die in einer reinen 2D-Planung bei einem Linienbauwerk dieser Art nicht unbedingt aufgefallen wären.“ Insbesondere Kollisionen von Bauteilen – vor allem der Anker, sowohl untereinander als auch zum Bestand – ließen sich erfolgreich vermeiden. Und auch die Mengenberechnung erfolgte eindeutig fehlerfreier und leichter als auf konventionelle, händische Weise.