Luftschiffhangar Mülheim: Meisterwerk innovativen Holzbaus

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Im vielfach preisgekrönten Luftschiffhangar Mülheim vereint sich visionäre Ingenieurbaukunst mit kompromissloser Nachhaltigkeit. Die komplexe Tragwerksplanung erfolgte mit ALLPLAN.

Luftschiffe sind schon lange kein bedeutender Teil des Luftverkehrs mehr, doch haben sie immerhin noch ihren Platz am Himmel als fliegende Reklametafeln. In Mülheim an der Ruhr besetzt die WDL Luftschiffgesellschaft mbH seit Anfang der 1970er-Jahre erfolgreich diese Luftfahrtnische. Dem Unternehmen verdanken wir nicht nur ein Weiterbestehen der majestätischen Himmelsstürmer in hiesigen Gefilden, sondern auch eines der vielleicht aufregendsten Bauwerke unserer Zeit: den Luftschiffhangar Mülheim. Der atemberaubende Holzbau ersetzt seit Ende 2022 einen früheren textilbespannten Leichtbau für die Wartung und winterliche Unterbringung der Luftschiffe. Das innovative Tragwerk wurde von Ripkens Wiesenkämper geplant – mit ALLPLAN.

Innovative Fachwerkkonstruktion für alte Form

Die besondere Herausforderung bei der Konstruktion der neuen Halle bestand in den Bauauflagen. Da es lediglich eine Genehmigung für einen Ersatzneubau gab, mussten die Grundfläche und die gewölbte Kubatur des Bestandsbauwerks übernommen werden. Im Gegensatz zum stählernen alten Hangar sollte der neue jedoch aus Holz bestehen. Um den Eindruck von Industriearchitektur zu unterstreichen und gleichzeitig Leichtigkeit zu vermitteln, entschied sich das verantwortliche Architekturbüro Smyk Fischer für eine Fachwerkkonstruktion. Ripkens Wiesenkämper entwickelten daraufhin gemeinsam mit Marx Krontal Partner ein reines Holzfachwerk, das durch den Einsatz von fast 600 innovativen Holzknoten und -bindern keinerlei Stahl benötigt.

Das Tragwerk setzt sich aus fünfzehn imposanten 26 Meter hohen Zweigelenkbögen zusammen. Obergurt- und Fachdiagonalen sind in die Dachschale aus Brettsperrholz eingespannt. Ein Aluminium-Stehfalzprofil bildet die schützende Außenhülle. Ein außergewöhnliches Detail stellt das riesige zweiflügelige Tor dar: Um die gewaltigen Flügel von jeweils 72 Tonnen exakt bewegen zu können, bedurfte es besonderer Erfahrung mit großen beweglichen Bauteilen. Diese brachten Dr. Schippke + Partner in das Projekt mit ein. Mithilfe der Wasserstahlbauexpert:innen entwickelte man eine Kombination aus massiven Scharnieren und einer Laufbahn, über die die Torflügel mittels 80 PS starker Elektromotoren geführt werden.

Neue Maßstäbe für nachhaltiges Bauen

Der Luftschiffhangar Mülheim beeindruckt jedoch nicht nur mit seiner besonderen Konstruktion – er setzt auch neue Maßstäbe für nachhaltiges Bauen. Durch die Verwendung von insgesamt rund 557 Tonnen Fichtenholz werden im Vergleich zu einem Stahlleichtbau etwa 156 Tonnen CO2 eingespart. Zugleich folgt das Bauwerk den Prinzipien zirkulären Bauens: Sowohl das Holztragwerk als auch die Aluminiumhaut sind zu 100 Prozent rückbaubar und lassen sich dementsprechend wiederverwenden beziehungsweise recyceln. Hierzu wurden gleichsam alle Bestandteile des Bauwerks in einem Gebäuderessourcenpass auf dem Materialkataster Madaster hinterlegt. Teile der Halle sind außerdem schon jetzt „secondhand“: Der Unterbau setzt sich aus den Fundamenten der alten Luftschiffhalle zusammen, und für den Boden wurden alte Betonplatten eines früheren Logistikzentrums verwendet.

Tragwerksplanung mit ALLPLAN

Ripkens Wiesenkämper nutzten ALLPLAN für die Tragwerksplanung. Dabei wurde zunächst ein vollständiges 3D-Modell des Tragwerks erzeugt, inklusive Detailpunkte wie komplexe Anschlüsse und andere kritische Bereiche. Anhand des Modells wurden regelmäßig Kollisionskontrollen durchgeführt, um möglichst frühzeitig etwaige Konfliktpunkte zwischen den Bauteilen zu erkennen. Gleichsam diente es einer präzisen Material- und Kostenschätzung. Neben dem Tragwerksmodell für die Halle erstellten die Ingenieur:innen ein Bewehrungsmodell für das Hallenfundament, was wiederum eine präzise Darstellung der Bewehrungsführung und eine direkte Ableitung von Schal- und Bewehrungsplänen ermöglichte. Dank der cloudbasierten Planung in Echtzeit konnten mehrere Konstrukteur:innen zeitgleich an ein und demselben Modell in ALLPLAN arbeiten.

Mehr als ein Luftschiffhangar

Alles in allem ist der Luftschiffhangar Mülheim ein strahlendes Symbol für innovatives, nachhaltiges Bauen mit Weitblick. Zahlreiche Auszeichnungen belegen die hohe allgemeine Wertschätzung, die das Bauwerk seit seiner Fertigstellung in der Baubranche und darüber hinaus erfährt. Neben dem Ernst & Sohn Ingenieurbaupreis, dem Architekturpreis und dem Holzbaupreis NRW wurde es zuletzt 2024 mit dem Deutschen Ingenieurbaupreis (Staatspreis) gewürdigt. Indes erweist sich der Hangar gleich als doppelter Gewinn für die Stadt Mülheim. Diese erhält nicht nur ein weithin sichtbares, ikonisches Meisterwerk modernen Holzbaus, sondern auch einen ganz besonderen Veranstaltungsort: An luftschifffreien Tagen kann die Halle für Events mit zu 1.500 Personen genutzt – und vor allem erlebt – werden.

Projektinformationen auf einen Blick

Fokus: 
Tragwerksplanung
 
Software: 
ALLPLAN
Auftraggeber: 
WDL Luftschiffgesellschaft mbH
 
Tragwerksplanung: 
Ripkens Wiesenkämper Beratende Ingenieure; MARX KRONTAL PARTNER (MKP GmbH)
Ausführungsplanung und Bauleitung: 
Gronau Plan GbR
Projektdauer: 
2022-2023