Frauen in der Baubranche? – Für viele offenbar immer noch keine Normalität. Vier Branchen-Frauen erzählen von Hürden und Chancen und geben Rat für den weiblichen Nachwuchs.
Frauen machen die Hälfte der Gesellschaft aus, sind im männerdominierten Bauwesen jedoch noch immer extrem unterrepräsentiert. Allplan hat mit vier erfolgreichen Frauen aus verschiedenen Bereichen des Baubetriebs über ihre Sicht auf das Thema „Frauen in der Baubranche“ gesprochen. Ihre Aussagen sind mitunter ernüchternd, geben aber auch Grund zur Hoffnung, dass die Branche künftig gleichberechtigter sein wird.
In Führungspositionen eine Seltenheit
Vier verschiedene Berufe, vier unterschiedliche Perspektiven, und doch sind sich alle darüber einig, dass es beim Thema Frauen in der Baubranche noch ziemlich hapert. „Vielfach herrscht in der Baubranche immer noch ein veraltetes Frauenbild vor“, erzählt Nicole Bode-May. Die Senior-Projektleiterin bei PL Architekten arbeitet bereits seit 30 Jahren als Architektin mit Schwerpunkt Gesundheitsbauten. „Ich musste mich immer beweisen, musste auch immer noch eine extra Meile gehen. Auch musste ich mich oft für meinen Karrierewunsch tatsächlich rechtfertigen.“
Birga Ziegler, Bauingenieurin und Geschäftsführerin bei ilp² Ingenieure, weist auf die geringe Zahl von Frauen an den wichtigen Schaltstellen wie Berufsverbänden und Kammern hin: „Bei meinem Berufsverband, der Bayerischen Ingenieurekammer, sieht das nicht anders aus. Die Vertreterversammlung und damit alle Ausschüsse und die Arbeitskreise sind lediglich zu sechs Prozent mit Frauen besetzt.“ Der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern liege zudem noch bei nahezu 25 Prozent. Auch in den Führungspositionen seien Frauen eine Seltenheit. Stattdessen fänden sich viele in der Verwaltung wieder, wo es bessere Teilzeitmodelle gebe und der Leistungsdruck geringer sei.
Mangelnde Aufmerksamkeit und ungesehene Kompetenz
Auch mangelt es an Aufmerksamkeit für die Arbeit von Frauen im Bauwesen. „Es wird momentan noch zu wenig über Architektinnen in der Baubranche gesprochen“, erzählt Susanne Raulf, Geschäftsführerin des Planungsbüros Raulf Architekten. „Kaum jemand kennt fünf berühmte Architektinnen.“ Aus diesem Grund hat sie das Netzwerk Architektin@work gegründet, das Studierenden, Gründerinnen oder jungen Architektinnen die Möglichkeit geben soll, sich und ihre Qualität zu zeigen und als Vorbild für andere zu dienen.
Dass es offenbar leider noch solcher sichtbaren Vorbilder als Beweis für die Kompetenz von Frauen bedarf, zeigt auch die Erfahrung von Sylvia Carola Schuster, Gründerin und Geschäftsführerin des Organisationsberatungsbüros Projektitekt: „Im Architekturstudium hatten wir ein sehr ausgewogenes Verhältnis von Männern und Frauen. Dann kommt man das erste Mal auf die Baustelle und ist in einer absoluten Männerdomäne. Ich habe oft auf der Baustelle erlebt, dass Menschen um mich herum sehr vorurteilsbehaftet waren und von einem naiven, unerfahrenen Menschen ausgegangen sind, der ihnen da gegenübersteht.“
Bauen ist ein gesamtgesellschaftliches Thema
Die noch vorherrschende Eindimensionalität ist nicht nur unfair, sie untergräbt auch die Entfaltung von weiblichem Potenzial in der baulichen Gestaltung unserer Welt. „Bauen ist generell ein gesamtgesellschaftliches Thema“, betont Birga Ziegler. „Bauingenieurinnen gestalten und fördern das Leben aller Menschen. Es ist sehr wichtig, dass an entscheidenden Stellen mehr Stimmen von Frauen gehört werden.“ Auch Nicole Bode-May hebt die enorme Wichtigkeit von Diversität hervor: „Je diverser ein Team ist, desto unterschiedlichere Mindsets kommen zusammen, desto mehr mehrdimensionales Denken bekomme ich und desto mehr kreativen Input. Und ich gewinne durch eine Auseinandersetzung, denn wenn alle gleich ticken, dann gucken alle in die gleiche Richtung und sehen nicht, was rechts und links ist. Und so bekomme ich nicht die besten Lösungen.“
Mut, Selbstvertrauen und auf die eigenen Stärken schauen
Für junge Frauen, die eine Karriere in der Baubranche anstreben, haben die vier erfahrenen Profis einige gute Ratschläge parat. Susanne Raulf: „Ich rate jungen Architektinnen, sich Vorbilder und Mentorinnen zu suchen, über den Tellerrand zu schauen und mutig und selbstbewusst zu sein.“ Sylvia Carola Schuster rät dazu, „nicht so viel darauf zu hören, was allgemeingültig als Karriere anerkannt ist, sondern für sich selbst herauszufinden, was man am besten kann, wo die eigenen Stärken liegen – und dann genau das umzusetzen“. Birga Ziegler sieht in der Kommunikation einen Schlüssel: „Seid offen, redet miteinander, formuliert klar eure Karrierewünsche und eure Ziele mit euren Vorgesetzten, verkauft euch nicht unter Wert und bleibt gelassen.“
„Frauen, die in die Baubranche möchten, sollten auf jeden Fall keine Selbstzweifel haben“, sagt Nicole Bode-May. „Ganz im Gegenteil, sie sollten Selbstvertrauen haben, aber auch Geduld und Durchhaltevermögen. Denn einer Frau in der Baubranche wird in der Regel nichts angeboten. Das heißt, den ersten Schritt gehen, das ist das Wichtigste, ins Machen kommen, Mut haben, vorangehen.“ Für die Zukunft gibt sich die Architektin zuversichtlich:
„Wenn ich einen Blick in die Glaskugel werfen darf, wie die Architektin/der Architekt 2050 aussieht, dann bin ich mir sicher, dass wir überhaupt nicht mehr über Männer oder Frauen diskutieren oder dass wir ein Thema haben, ob Frauen in der Baubranche sein sollen oder in welcher Form. Es wird selbstverständlich sein. Auch diverse Arbeitsmodelle/Arbeitszeitmodelle werden eine Selbstverständlichkeit werden. Die Zukunft wird divers sein – in jeder Form.“
Die kompletten Interviews zu Frauen in der Baubranche finden Sie hier.